HTC-Vive - Eine komplett neue Erfahrung

Nach ein paar Monaten mit der HTC-Vive möchte ich doch mal was darüber schreiben. Ich war schon immer ein 3D-Fan und freute mich deshalb schon lange auf die VR-Geräte für den Heimgebrauch. Die Oculus-Rift-Brille hat mich nie überzeugt, da diese zwar eine tolle Rundumsicht ermöglicht, aber man halt statisch auf dem Stuhl sitzt oder halt steht. Deshalb war ich auf die HTC-Vive gespannt, die im VR-Bereich ganz neue Massstäbe setzen sollte. Als sie dann endlich in der Schweiz erhältlich war, stellte sich dann doch die Frage, ob sich die immensen Kosten für ein Spielzeug lohnen. Immerhin kostete die Vive 1'300 Franken und der PC musste auch auf dem neusten Stand der Technik sein. Die damaligen Testberichte halfen mir dabei nicht weiter, das Fazit war immer dasselbe: Echt toll, unglaublich, aber einfach zu teuer. Ja was denn nun: Kaufen oder nicht?

HTC Vive SchachtelinhaltEs ging auf den Freitagabend zu und da sagte ich mir: jetzt oder nie. Und gleich noch den Steg-Sofortliefer-Service ausprobiert. Ich bestellte das Teil um 17:45 Uhr im Geschäft, ging nach Hause und um 18:15 Uhr klingelte es und die Vive war da, sehr zur Überraschung der Familie (Kinder = Freude, Frau = naja...). Als Handwerker und PC-Schrauber ist das installieren keine grosse Kunst, aber man muss halt irgendwie schon Platz schaffen. Am Boden sollte es eine Fläche von 3 x 4 Metern haben und dann noch Platz in der Höhe in zwei Ecken über die Diagonale, um die Scanner zu installieren. Viele Kabel verlegen, Installationsprogramm starten und mit Hilfe von Videos einrichten. Innerhalb einer Stunde waren wir abfahrbereit.

Natürlich war ich total gespannt, weil bei den Tests niemand eine konkrete Aussage machen konnte, wie das denn so ist. Und spätestens, wenn man den Helm zum ersten Mal trägt, weiss man auch warum: So etwas hat man schlicht noch nie erlebt, es gibt auch nichts Vergleichbares, mit dem man es beschreiben könnte. Ausser vielleicht mit der Realität selbst. War man bisher bei TV, 3D-Spielen und Filmen und ähnlichem immer irgendwie nur der Zuschauer, der bestenfalls eine fremde Kamere gelenkt hat, so ist man mit der Vive mittendrin. Innert Sekunden hat man vergessen, dass man eigentlich im Kinderzimmer steht, zwischen Schrank, Pult, Bett und Gestell. Man taucht zu hundert Prozent in die Virtuelle Realität ein. Plötzlich stand ich auf einem Berg, konnte um Felsen herumgehen (ja, wirklich herumgehen, nicht herumsteuern) und auf steil abfallende Klippen zusteuern. Das Gefühl, wenn man ganz vorne auf dem Felsvorsprung steht und dann hinunterschaut, ist einmalig. Es braucht deutliche Überwindung, einen Schritt nach vorne in die Luft zu machen, ein Familienmitglied hat sich tatsächlich nicht getraut. Dabei steht man ja nur einen halben Meter vor dem Schreibtisch...

HTC Vive ControllerDie Controller liegen gut in der Hand und sind meist auch virtuell sichtbar. Das ist schon etwas komisch, man sieht die Controller direkt in seinen Händen, obwohl das ja natürlich nur ein virtuelles Bild der Controller ist. Man kann sie auch in die Luft werfen und fängt sie dann auch sicher, dabei sieht man sie ja gar nicht direkt. Die Steuerung ist ziemlich intuitiv und bietet durch die vielen Knöpfe und das Touchpad auf den zwei Controllern jede Menge Steuerungsmöglichkeiten. Das haptische Feedback durch die Vibrationen ist auch gut gelöst und gibt ein gutes Gefühl beim Greifen.

Zu den Programmen kann ich Folgendes sagen: Die Möglichkeiten sind sicher noch lange nicht ausgereizt. Tatsächlich funktioniert mit Vive vieles anders als mit anderen Geräten. Viele Spielarten, die auf dem PC viel Spass machen, wirken mit der Vive langweilig, zum Beispiel sind Autorennen kaum was Besonderes. Auch Dungeon-Spiele sind nicht sooo der Renner. Zwar ist es extrem intensiv, durch die Gänge zu laufen, teilweise zu kriechen und Tische auf den Knien von unten zu inspizieren, ob sich da nicht ein paar Gegenstände befinden. Da eine virtuelle Wand aber halt keine richtige Wand ist, kann man sie ganz einfach seitlich durchschreiten und sieht dann plötzlich den Gang von aussen. Da müssen sich die Programmierer noch was einfallen lassen, damit das nicht den Spielfluss stört.

Dafür sind andere Anwendungen schlicht der Hammer, was man aber auf einem PC niemals spielen würde. Zum Beispiel "Disc Golf" bei "Altspace VR". Altspace ist eigentlich ein Treffpunkt, an dem man andere Vivebesitzer treffen kann. Mit diesen kann man den auch sprechen, sich zuwinken und miteinander an einem Tisch Karten spielen. Der direkte Kontakt ist schon speziell, ist man doch eigentlich tausende Kilometer entfernt. Ein Spiel ist dann eben auch "Disc Golf", bei dem man in einem Gebäude ein Frisbee so lange durch die Gänge und Räume werfen muss, bis man am Ziel ankommt. Eigentlich simpel, aber das hin- und herbewegen und sich ducken um den geeigneten Winkel zu finden macht schon viel Spass.

Dann gibt es natürlich noch die visuellen Goldschätze. Die kosten zwar etwas, bieten aber auch viel für's Auge. Sicher hervorzuheben ist da "Universe Sandbox", womit wir sicher am meisten Zeit verbracht haben. Das ist kein Spiel, sondern man schwebt im All und sieht je nach Auswahl einzelne Planeten, das Sonnensystem bis hin zu mehreren Galaxien. Dabei kann man den Zoom-Faktor festlegen und wie schnell die Zeit vergeht. Und dann fliegt man durchs All, schaut sich die Monde der Planeten an und betrachtet ganze Galaxien die zusammentreffen. Es ist schon überwältigend, wenn man direkt vor den Saturn fliegt und ihn riesengross mit fotorealistischen Bildern vor sich sieht. Zusätzlich kann man noch selbst Monde und Planeten erzeugen und herumfliegen lassen, auch die Erde mit einem solchen Objekt kollidieren lassen und so in eine wabbernde Lavalandschaft verwandeln. Immer mit Sitz in der ersten Reihe.

Wenn jemand zu mir kommt, um die Vive auszuprobieren, dann starte ich aber immer als erstes "Everest VR". Das kostet zwar 19 Franken und ist auch kein Spiel, weswegen es von vielen gemieden wird. Dafür ist es aber eine regelrechte Augenweide. Man sieht eben den Everest nicht nur, man ist komplett drauf. Man dreht sich und sieht die Aussicht auf die anderen Berge. Man steigt über eine Gletscherspalte und schaut hinunter in die Tiefe, dann klettert man eine Leiter hoch, schaut sich dabei zurück und geniesst das Panorama. Ganz oben dann schliesslich sieht man das überwältigende Panorama, alles mit fotorealistischen Bildern gemacht. Mein grösster Wow-Effekt war, als ich in einer Übergangsszene in einem scharzen Raum war und vor mir eine Kinoleinwand hatte, die in normaler TV-Manier einen Flug über den Gletscher des Mount Everest zeigt. Und dann erweiterte sich das Bild plötzlich der scharze Raum löste sich auf und aus dem Ausschnitt wurde eine perfekte Rundumsicht als ob man ein Vogel wäre. Oben die Wolken, unten der Gletscher, hinten das Panorama und seitlich vorne der Everest. Noch nie war jemand nicht restlos beeindruckt von dieser virtuellen Realität.

Mein Fazit also: Wer es sich leisten kann, sollte sich die Vive zulegen. Das ist nichts Halbfertiges, das einfach mal so auf den Markt geworfen wird, sondern wirklich ein aussergewöhnliches Stück Technik. Das Gefühl lässt sich mit nichts Bekanntem vergleichen, ausser halt eben mit der Realität. Es fehlen einfach noch die Gerüche, der Wind und die Berührungen. Aber allein die Eindrücke, die ich mit "Universe Sandbox" gewonnen habe, haben die Investition gelohnt. Auch Personen, die sonst kaum etwas mit Computern zu tun haben, sind schwer beeindruckt. Für Hardcore-Gamer ist es allerdings nichts. Da ist man mit zwei Bildschirmen und einem bequemen Bürostuhl deutlich besser aufgehoben, was dann auch viel weniger kostet.